Arbeit soll immer mehr zur Selbstverwirklichung beitragen und Sinn stiften. Beeinflusst dieser Trend auch die Weiterbildung? Dieser Fokusbeitrag diskutiert wie postmaterialistische Werte im Allgemeinen und Werte von «New Work» im Spezifischen auf die Zukunft des Lernens und der Weiterbildung wirken könnten.
Bedeutungszunahme immaterieller Werte
Sinnhaftigkeit, Autonomie und Selbstbestimmung sind Werte, die seit einiger Zeit immer stärker in den Fokus rücken. Dieser Trend ist verbunden mit einem Wandel von materialistischen hin zu postmaterialistischen Wertvorstellungen (Inglehart, 1997), der in vielen Gesellschaften vor mehreren Jahrzehnten begonnen, aber an Aktualität nichts eingebüsst hat und auch die Zukunft beeinflussen dürfte. In postmaterialistischen Gesellschaften steht die Maximierung der Lebensqualität und die Verwirklichung nicht-materieller Werte im Mittelpunkt.
Das Streben nach Sinnhaftigkeit, Autonomie und Selbstbestimmung drückt sich nicht nur im Privatleben aus, sondern bestimmt zunehmend auch die Arbeitswelt. Diverse Studien zeigen, dass ein hoher Lohn nicht mehr das wichtigste Kriterium ist, nach welchem Arbeitnehmende eine Arbeitsstelle aussuchen und bewerten. Vor allem jüngere Generationen wie die Generation Z äussern vermehrt den Wunsch, sich bei der Arbeit selbst zu verwirklichen und Verantwortung zu übernehmen. Zudem sind ihnen die intellektuelle Herausforderung, eine selbständige Arbeitsweise und innovative Aufgaben wichtig (Waffenschmidt, 2018).
Sinnhaftigkeit von Arbeit: Konzept von New Work
Unter dem Begriff «New Work» (Neue Arbeit) hat der Philosoph Frithjof Bergmann (1990) ein Konzept entworfen, das eine Art der Arbeit bezeichnet, die immaterielle Aspekte in den Vordergrund rückt. «New Work» kann entsprechend als postmaterialistische Wertvorstellung der Arbeit betrachtet werden. «New Work» ist Arbeit, die Arbeitnehmende als sinnvoll ansehen und «auch wirklich erledigen wollen». Im Mittelpunkt steht das Individuum und dessen Streben nach Erfüllung und Sinnhaftigkeit (Bergmann, 2019). Das Konzept von «New Work» wurde zwar erstmals bereits vor über 30 Jahren formuliert, scheint aber immer besser auf die gesellschaftlichen Vorstellungen von Arbeit zuzutreffen. In einem kürzlich auf der Webseite des Think Tanks TRANSIT erschienenen Interview verweist auch Heike Bauer darauf, dass sie den gesellschaftlichen Wertewandel als Treibstoff für «New Work» betrachtet.
Das Konzept von «New Work» wird aber auch kritisiert. Denn erstens gibt es viele Arbeitsmarktbereiche, in denen beispielsweise fixe Schichten zentrale Werte von «New Work» wie Autonomie und freie Zeiteinteilung einschränken. Zweitens birgt die Fokussierung auf Sinnhaftigkeit, Autonomie und Selbstbestimmung auch die Gefahr der Selbstausbeutung, weil die Grenzen der Arbeit oft nicht mehr definiert sind und die Erledigung von Arbeit scheinbar im Interesse der Arbeitnehmenden liegt.
Sinnhaftigkeit in der Weiterbildung
Trotz dieser Kritik fliessen im Konzept von New Work Fragen und Anliegen zusammen, die in vielen Bereichen der Arbeitswelt in Zukunft eine wichtige Rolle spielen werden. Diese Fragen und Anliegen sollten aufgrund der engen Anbindung von Weiterbildung an den Arbeitsmarkt auch in der Weiterbildung reflektiert und diskutiert werden.
Auf individueller Ebene scheint in Zukunft mit Blick auf «New Work» der Kern des Lernens in der Persönlichkeitsentwicklung zu liegen. Gemäss Bauer müsse dabei jede Person für sich herausfinden, was sie (insbesondere auch durch Lernen) aus und mit ihrer Arbeit mache und machen kann – und damit auch aus ihrem Leben.
Auf Ebene von Weiterbildungsorganisationen stellt sich die Frage, ob «New Work» auch nach «New Learning» verlangt und wie ein solches aussehen könnte (Foelsing & Schmitz, 2021). Es liegt nahe, dass sich diese neue Art des Lernens an denselben Grundsätzen orientieren müsste wie «New Work»: Sinnhaftigkeit, Autonomie und Selbstbestimmung sowie Zugehörigkeit zu einer Lerngemeinschaft. Entsprechend müsste «New Learning» eine neue Kultur und Sichtweise zugrunde liegen, die kreative Lernimpulse zur Entwicklung eines – gemäss Bauer – «growth mindset» setzen. Zu «New Learning» gehört somit mehr als die Flexibilisierung von Lernräumen und Angeboten. Es müssten auch Kompetenzen wie Proaktivität, Kommunikation und Zusammenarbeit vermittelt werden, sowie die Fähigkeit das Erlernte zu hinterfragen, auf die eigene Lebenswelt zu beziehen und daraus einen Sinnbezug herzustellen.
Grenzen des sinnbezogenen Lernens
Der Wandel hin zu einem individualisierten und sinnbezogen Lernen kann aber auch Unsicherheiten auslösen. Bei einigen Lernenden dürfte ein Bedürfnis nach standardisierten Formen der Weiterbildung entstehen, wo für alle Teilnehmenden festgelegte Inhalte mit allgemeiner Gültigkeit Sicherheit bieten. Zudem ist «New Learning» auch nur dann fruchtbar, wenn es auf «New Work» in der Arbeitswelt trifft. Ansonsten wird es wohl eher unzufriedene Mitarbeitende hinterlassen, die ihre Kompetenzen nicht einsetzen können und ihr Bedürfnis nach Sinnhaftigkeit nicht erfüllt sehen.
Es braucht also Reflektion darüber, inwieweit die Weiterbildung mehr Flexibilisierung und Individualisierung oder mehr Standardisierung braucht. Es ist auch nicht klar, ob individualisierte Lernformen immer mehr als Ersatz für standardisierte Formen dienen, oder ob beide Formen nebeneinander bestehen können. Weiterbildungsanbieter müssen sich die Frage stellen, wie sie standardisierte und flexible Lernformen kombinieren oder gegebenenfalls den verschiedenen Bedürfnissen der Teilnehmenden in verschiedenen Angeboten gerecht werden wollen.
Literatur
Bergmann, F. (1990). Neue Arbeit (New Work). Das Konzept und seine Umsetzung in der Praxis. In. Fricke, Werner (HRSG.). Jahrbuch Arbeit und Technik. 71-80.
Bergmann, F. (2019). New work new culture: Work we want and a culture that strengthens us. John Hunt Publishing.
Foelsing, J., & Schmitz, A. (2021). New Work braucht New Learning: Eine Perspektivreise durch die Transformation unserer Organisations- und Lernwelten. Springer Gabler. https://doi.org/10.1007/978-3-658-32758-3
Inglehart, R. (1997). Modernization, postmodernization and changing perceptions of risk. International Review of Sociology, 7(3), 449-459.
Waffenschmidt, B. (2018). Generation Z. Achtung, die Arbeitswelt-Optimierer kommen! –Whitepaper zur Vorstudie «Generation Z und ihre Erwartungen and die zukünftige Arbeitswelt». Kiel/Hamburg: Leibnitz Information Center for Economics. http://hdl.handle.net/10419/245823 (zuletzt abgerufen am 30.01.2023).
Zukunftsinstitut (2023). Megatrend New Work. https://www.zukunftsinstitut.de/dossier/megatrend-new-work/ (zuletzt abgerufen 30.01.2023)