Wenn Lernen und Arbeiten verschmelzen


Kürzlich habe ich mit einem jungen Biologen gesprochen. Sein Fach, sagte er mir, sei deshalb so spannend, weil ihn die Natur immer wieder überrasche. Dieselbe Fischart könne in nördlichen ebenso wie in südlichen Gewässern existieren, doch würden sich die Vertreter der jeweiligen lokalen Varianten völlig anders verhalten. Habe man die eine studiert, heisse das noch lange nicht, dass man die andere verstehe. Man lerne deshalb nie aus, meinte er. Oder anders formuliert: Die Natur erwische ihn immer aufs Neue. Die beiden Sichtweisen sind zwei Seiten derselben Medaille. Die Bereitschaft, ständig zu lernen, ist auch ein Eingeständnis, nie auch nur annähernd so etwas wie abschliessendes Wissen selbst in einem mehr oder weniger begrenzten Fachgebiet zu besitzen.

Heute trifft dies wohl nicht nur auf Biologen, sondern auf fast jede Berufsgruppe zu. Der technologische Wandel verändert die Rahmenbedingungen fast jeder Art von Tätigkeit konstant. Und dieser Wandel wird sich eher beschleunigen als verlangsamen. Zudem ist die Technologie längst nicht das Einzige, das uns vor immer neue Herausforderungen stellt. Die Welt ist in vielerlei Hinsicht fundamentalen Veränderungen unterworfen. So wäre es wohl naiv zu glauben, dass ein sich veränderndes Klima nur Auswirkungen auf die Arbeit von Biologen und Meteorologen haben wird.

Weiterbildung als Auszeit ist ein Auslaufmodell

Sich anzupassen und Neues in seine Arbeit zu integrieren, wird in immer kürzeren Kadenzen geschehen müssen. Insofern werden Lernen und Arbeiten zu Tätigkeiten, die mehr und mehr verschmelzen. Die Zeiten, in denen man dann und wann eine Weiterbildung geniesst, um anschliessend wieder an den Arbeitsplatz zurückzukehren und – im besten Fall – das Gelernte in seine Tätigkeit einbringt, werden seltener werden. Lernen als eine Art Auszeit wird die Ausnahme, nicht mehr die Regel darstellen, wie man sich weiterbildet. Unternehmen, die Lernzeit im Rahmen der normalen Arbeitszeit einräumen, haben das verstanden. Zugegeben: Der Trennung von Lernzeit und sogenannter Arbeitszeit hängt nach wie vor der Geruch des Althergebrachten an. Aber es kommt der Sache, nämlich der Verschmelzung von Lernen und Arbeiten, schon näher, wenn Lernen in engen, regelmässigen Abständen ermöglicht und allen Mitarbeitenden zugestanden wird. 

Es scheint mir aber auch möglich, dass in nicht zu ferner Zukunft die Definition von Lernzeit hinfällig wird, weil Lernen und Arbeiten gar nicht mehr zu trennen sind und es zur Normalität wird, sich täglich mit Neuem auseinanderzusetzen. Dies wird zwangsläufig unsere Vorstellung von Arbeit verändern. Nicht mehr allein in der Ausübung der eigentlichen Tätigkeit wird man produktiv sein, sondern auch beim Lernen.

Mein Biologe wird mit einer solchen Definition keine Mühe haben. Im Gegenteil: Er lebt dieses Konzept bereits und mit ihm wahrscheinlich sehr viele Menschen, die Lernen schon längst als Teil ihrer Arbeit verstehen.