Wen es in die Fremde verschlägt, der muss zumindest eine neue Sprache lernen. Die Apologeten der Künstlichen Intelligenz versprechen, dass bald jedem ein digitaler Tutor zur Verfügung steht, um auf individuelle Anliegen einzugehen. Aber würde ein solcher auch das Lebensgefühl einer anderen Kultur vermitteln können?
Individuelle schulische Betreuung für jede und jeden, nichts Geringeres sagt ein britischer Computerspezialist für die Zukunft der Bildung voraus. Möglich soll dies werden dank – wie könnte es anders sein – künstlicher Intelligenz. Diese könne auf die individuellen Bedürfnisse oder Schwächen von Lernenden eingehen und sie entsprechend fördern. Das klassische Modell von Klassenräumen habe damit ausgedient.
Stuart Russell, so der Name des Wissenschafters, zieht im englischen Guardian einen Vergleich mit den Tutorensystemen der Eliteuniversitäten Oxford und Cambridge, die just eine solche individuelle Betreuung von Studierenden pflegen. Allerdings sitzen den Studierenden keine Computer gegenüber, sondern leibhaftige Menschen, Professoren mit einer Haltung und Lebenserfahrung.
Menschliche Tutoren sind natürlich etwas teurer als eine KI, und ihre Dienste sind auch nicht so einfach multiplizierbar, weshalb ein Studium in Oxford oder Cambridge bekanntlich etwas kostet. Bei einem massenhaften Einsatz von KI hingegen schrumpfen die Kosten für das Individuum gegen Null, was zu einer Art Demokratisierung eines Elitesystems führen könnte.
Soweit, so schön. Aber ist es wirklich erstrebenswert, eine Maschine als Tutor zu haben? Auch wenn wir davon ausgehen, dass KI bald einmal so guten Unterricht gestalten kann wie ein menschlicher Lehrer oder eine Trainerin, bleibt die Frage offen. Denn warum soll man überhaupt noch lernen wollen, wenn KI ohnehin schon alles besser kann? Und welche Beziehung soll man zu seinem künstlichen Tutor unterhalten? Kann dieser in irgendeiner Weise Vorbild sein? Das ist, zumindest für jemanden, der es gewohnt ist, mit und von Menschen zu lernen, etwas schwerer vorstellbar.
Ich lebe zurzeit an einem Ort, der für den Einsatz künstlicher Intelligenz zum Zwecke der Bildung geradezu prädestiniert wäre: auf einer kleinen Insel mitten im Atlantik, wo es kaum Weiterbildung gibt und selbst Sprachlehreinnen und -lehrer zum Erwerb der Landessprache rar sind. Die Vision von Stuart Russell ist gerade an einem solchen Ort durchaus verlockend. Trotzdem ist sie fehl am Platz – gerade hier.
Denn wozu lerne ich? Nicht, um mich mit künstlicher Intelligenz zu unterhalten, sondern mir ein Leben einzurichten unter Menschen, deren Lebensweise und Kultur sich von der meinigen unterscheidet – manchmal mehr, manchmal weniger. Ich bin also in einer ähnlichen Situation wie ein Syrer, der nach Zürich kommt und Deutsch lernen muss – allein eben nicht nur Deutsch, sondern auch eine neue Lebensweise. Könnte er das mit künstlicher Intelligenz? Wahrscheinlich schon. Aber möchte man das Leben von Menschen von einer Maschine erklärt – oder vorgelebt – bekommen?
Der Gedanke ist nicht nur unangenehm, er ist auch ein wenig absurd. Denn soll die Maschine dem Menschen das Menschsein beibringen, sind wir tatsächlich überflüssig geworden – irgendwie.
Und sollten wir uns angesichts einer immer machtvoller werdenden Technologie in der Bildung nicht genau auf das besinnen, was den Menschen ausmacht? Die Beherrschung einer Sprache mag auf den ersten Blick nicht dazu gehören, zumal ja mein Handy dank diverser Übersetzungs-Apps mehr Fremdsprachen beherrscht, als ich je lernen werde; und mich bezüglich Vokabular und Grammatik wahrscheinlich auch in den Idiomen schlägt, die mir vertraut sind. Aber was in Sätzen nebst der banalen Information auch noch transportiert wird – Lebensgefühl vielleicht –, damit kann mein Handy meines Wissens bis jetzt noch wenig anfangen. Und ob ChatGPT über die reine Definition hinaus damit vertraut ist, wage ich (oder hoffe ich zumindest) zu bezweifeln.
Ich gebe zu: Auch ich nutze einen digitalen Trainer fürs Vokabelnbüffeln und für Grammatikübungen. Aber ich gehe regelmässig und gerne zur einzigen Lehrerin, die ich hier auftreiben konnte. Weil sie von hier ist und mir Dinge über meine neue Heimat beibringt, die ich bis jetzt in keinem Programm gefunden habe – und sei es, wie ein Einheimischer anständig fluchen zu können.