Wäre ich doch nur ein besserer Lehrer gewesen!


Sich auf Neues einzulassen und etwas bislang Fremdes zu erlernen, ist für Erwachsene nicht immer einfach. Professionalität in der Weiterbildung kann einen entscheidenden Unterschied dabei machen, ob dies gelingt oder nicht.

In den Jahren, als die Digitalisierung ihren Anfang nahm, hörte man oft Klagen über die neue Technologie. Menschen, die einen Grossteil ihres Berufslebens mit Karteikästen, Rechnungsbüchern und Ablageschränken gearbeitet hatten, die sich an die geringste Notiz in den Abgründen ihrer Schubladen erinnerten, sollten plötzlich alles einer Kiste anvertrauen, einem Rechner. Dazu mussten sie Programme ausführen, die so viel umständlicher erschienen, als auf der Schreibmaschine ein Formular auszufüllen.

In die Nervenheilanstalt

Es gab Personen, die mit den Computern, die man ihnen vor die Nase gestellt hatte, überhaupt nicht zurechtkamen. Manche verfluchten die Zeit und ihre Chefs, die ihnen das zumuteten, andere erlitten Zusammenbrüche und wurden in Anstalten eingeliefert. Ich kannte persönlich einen solchen Fall. Die Lernhürde dürfte bestimmt nicht allein dafür verantwortlich gewesen sein, dass der Mann buchstäblich die Nerven verlor. Aber sie gab den Ausschlag.

Das war eine Zeit, bevor das Konzept von Lifelong Learning ausgerufen und Weiterbildung zu einem integralen Bestandteil des Berufslebens werden sollte – was sie heute ja teilweise immer noch nicht überall ist. Es war eine Zeit, als Weiterbildung als eine Art Auszeit begriffen wurde. Ob das Gelernte überhaupt im Arbeitsalltag ankam, war sekundär. Nun aber, angesichts der heraufdämmernden digitalen Revolution, bekam das Lernen eine unerwartete Dringlichkeit. Das war neu. Der Druck war für viele enorm. Manche verschlossen sich dem Lernen ganz.

Ein bisschen Segeln ist doch nicht so schwer

Lernverweigerung ist indes keine Frage der Intelligenz oder allenfalls der grundsätzlichen Aufnahmebereitschaft, wie ich kürzlich an Bord meines Segelbootes feststellen konnte. Ich segelte von den Kapverden Richtung Westafrika. Normalerweise bin ich allein unterwegs. Nun hatte ich einen Gast an Bord, einen Anthropologen und Schriftsteller, der mit mir die Inseln des Bijagos-Archipels vor der Küste Guinea-Bissaus erkunden wollte.

Der Mann war noch nie zuvor gesegelt. Ich aber dachte, ein paar wenige essenzielle Dinge zu lernen, die man zum Segeln braucht, könne nicht allzu schwierig sein. Ich verlangte von ihm ja nicht, das Schiff zu führen. Ein paar Handgriffe, ein paar Knoten und etwas nach dem Kompass steuern. Das war alles, was ich meinem Gast zumuten wollte.

Aus irgendeinem Grund aber wollte nichts davon, was ich ihm erklärte, in seinem Kopf ankommen. Ich zeigte ihm vor, was er tun sollte – in all meiner unbeschwerten Routiniertheit. Aber selbst, wenn ich es viermal vormachte, machte er es fünf Mal falsch. Wir erlebten deshalb die eine oder andere brenzlige Situation. Und ich gestehe, dass ich mich ärgerte.

Warum begriff jemand, der als Wissenschafter Feldforschung betreibt und sich mit fremden Kulturen auseinandersetzt, so etwas Banales nicht, wie am richtigen Ende einer Leine zu ziehen? Oder die Toilettenpumpe korrekt zu verschliessen? Oder einen Fender richtig an der Reling zu befestigen?

Mein Gast ist ein intelligenter Mensch und wir verbrachten lange Abende mit spannenden Gesprächen. Gegenüber Unbekanntem ist er grundsätzlich aufgeschlossen. Er studierte die Legenden afrikanischer Völker und übersetzte sie ins Portugiesische, seine Muttersprache. Kurz, er verfügt über eine ganz gute Auffassungsgabe. Doch alles, was mit dem Boot zusammenhing, schien ihm verschlossen zu bleiben.

Es dämmerte mir erst, nachdem mein Gast wieder von Bord gegangen war – er hatte beschlossen, bei den Einheimischen auf einer Insel der Bijagos zu bleiben, anstatt mit mir weiterzusegeln –, dass ich die Ursache gewesen war, warum das Lernen an Bord nicht geklappt hatte.

An Bord ist alles fremd

Als Solosegler fehlt mir sicherlich die Geduld für lange Erklärungen. Vor allem war ich gegenüber dem, was ich vermitteln sollte, zu distanzlos. Die Art und Weise wie ich meinen Gast instruierte, muss ihm zweifellos sehr arrogant erschienen sein. Was für mich alltäglich war, war für ihn völlig neu. „Mach ganz einfach dies, ganz einfach das.“ Ganz einfach war nichts für ihn. Er hatte es mit einem für den Laien nicht auf Anhieb durchschaubaren Zusammenspiel aus Segeln, Leinen, Wind und Wellen zu tun. Erschwerend kam hinzu, dass das Boot unterwegs war und sich zuweilen wie ein wildgewordenes Schaukelpferd verhielt.

Ich aber begriff die Fremdheit nicht, mit der mein Gast konfrontiert war. Wie hätte ich unter diesen Umständen ein erfolgreicher Lehrer sein können? Mir fehlte zweifellos eine gewisse Professionalität. Weder plante ich die „Weiterbildung an Bord“, noch erklärte ich meinem Schüler das Ziel der Ausbildung. Erwachsene lernen bekanntlich, wenn sie einen Sinn darin erkennen. Dass er mir allenfalls das Leben etwas erleichtern könnte, wenn er mich unterstützte, reichte als Motivation wahrscheinlich nicht aus. Schliesslich machte ich mir auch nicht die Mühe, den „Stoff“ mit etwas Theorie zu unterlegen. Vielleicht hätte eine Zeichnung zur Physik des Segelns Wunder bewirkt.

Die Professionalität, die mir fehlte, ist heute- zumindest in der Schweiz – in der Weiterbildungspraxis weitgehend verankert. Dies dürfte eine wesentliche Voraussetzung für den Umgang mit anstehenden Veränderungen sein. Mit der virtuellen Intelligenz stehen wir aktuell wiederum vor einer technologischen Revolution ähnlich wie in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, als die ersten PCs auftauchten. Der Klimawandel wird uns ebenfalls fordern und zum Lernen nötigen. Und wie auf einem Schiff könnte das Überleben von unseren Lernerfolgen abhängen. Die Chancen, dass wir das Lernen meistern, sind heute aber gegeben, sofern die Lehrenden auch auf stürmischer See und mit ungewisser Zukunft vor Augen ihre Profession aufrechterhalten.



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